Qualität in Projekten für Content-Migration – »lebensnotwendig« in Life Sciences: Interview mit Markus Schneider

Markus Schneider |
9. Mai 2019 |

Markus Schneider, Managing Consultant und Life Sciences Experte bei der fme AG in Frankfurt, ist einer der führenden Migrations-Spezialisten in Zentraleuropa. Er leitet ein Team von Spezialisten mit dem Schwerpunkt Anwendungs- und Content Migrationen in der Life Science Industrie – insbesondere der Pharmazeutischen Industrie. In diesem Interview steht er seinem Kollegen und Leiter des fme Kompetenzcenters Migration Services, Jens Dahl, Rede und Antwort zum Thema Qualität in Life Sciences Migrationsprojekten.

Jens Dahl: Markus, Du beschäftigst Dich seit über 20 Jahren mit dem Thema ECM in der Life Science und Pharmaindustrie. Du kennst sehr viele Plattformen, Fachanwendungen, Kundenumgebungen und natürlich die Geschäftsprozesse dieser Branche aus dem FF. Man kann Dich getrost als einen der Top-Spezialisten auf diesem Gebiet bezeichnen. Was macht diese Branche so speziell?

Markus Schneider: Hallo Jens! Vielen Dank für die Beschreibung meines tagtäglichen beruflichen Umfeldes und Deiner Frage. Die regulatorischen Vorgaben, die an die Pharmaindustrie gestellt werden, macht diese Branche zu einer ganz besonderen. Nur die Flugzeugindustrie und die Atomkraftindustrie werden mit ähnlichen Qualitätsanforderungen und Sicherheitsstandards belegt. Dies liegt natürlich in unser aller Interesse. Man muss sich in diesem Umfeld immer wieder vor Augen führen, was passieren könnte, wenn es bei den Zulassungs- oder Herstellungsprozessen zu Fehlern käme.

 

Jens Dahl: Man kann also sagen, die Branche ist einerseits so sensibel, weil es hier unmittelbar um Leben und Gesundheit von Menschen geht. Deshalb werden die Prozesse bzw. die Qualität bei der Einführung und Betreuung von IT-Systemen sehr stark reguliert, überwacht und im schlimmsten Fall auch hart sanktioniert. Andererseits birgt diese Sanktionierung natürlich erhebliche Risiken für die Unternehmen.
Die starken Regulierungen und auch Risiken bei Verstoß gelten selbstverständlich auch für jegliche Art von Content Migration. Was sind aus Deiner Erfahrung heraus die größten Herausforderungen bei Migrationsprojekten im Life Sciences Umfeld?

Markus Schneider: Die größten Herausforderungen sind die Sicherstellung der Datenqualität und der Validierungsprozess an sich.

Wenn zum Beispiel einreichungsrelevante Daten (Daten, die an die Regulierungsbehörden gemeldet werden müssen) migriert werden sollen, ist die Anforderung oftmals, dass 100% aller Daten fehlerfrei migriert werden müssen. In diesen Migrationsprojekten hängt der Aufwand und die Komplexität entscheidend von der Datenqualität im Altsystem ab. Die tatsächliche Datenqualität kann aber zum Projektstart niemand richtig abschätzen. In der Regel geht der Kunde von einer sehr guten Datenqualität aus, dies ist oftmals aber nicht der Fall. Die Gründe für Datenfehler im Altsystem können sehr vielfältig sein, dies ist ein eigenes Thema für sich. Fakt ist aber, dass diese Fehler bei einer Migration zu identifizieren und zu beheben sind. Es geht bei Datenmigration also nicht nur darum, Daten von A nach B zu kopieren, die Herausforderung ist immer die Altdatenbereinigung und die Anpassung an kontrollierte Wertelisten im Zielsystem. Da in aller Regel auch die Altsysteme validiert sind, können notwendige Korrekturen dort oftmals nicht vorgenommen werden, d. h. die Korrektur muss während der Migration durchgeführt werden. Wir haben in unserem Team daher Verfahren und Herangehensweisen entwickelt, um diese Herausforderungen beherrschen zu können.

Der zweite Aspekt ist der Validierungsprozess. Unsere Kunden sind natürlich sehr erfahren und routiniert darin, Validierungsprozesse im IT Umfeld umzusetzen. Oftmals geht es aber eher um Systemanpassungen, Prozessanpassungen oder die Einführung von neuen Anwendungen. Eine Datenmigration kann aber nicht validiert werden wie die Einführung einer neuen Software. Hier gibt es elementare Unterschiede, die bereits im Vorfeld im Validierungsplan berücksichtigt werden müssen. Unsere Aufgabe ist es, den Kunden auch in diesem Bereich zu beraten und Lösungen zu finden, die in einem vertretbaren Kosten/Nutzen Verhältnis stehen.

 

Jens Dahl: Würdest du sagen bestimmte Aspekte in Migrationsprojekten werden regelmäßig falsch eingeschätzt oder unterschätzt?

Markus Schneider: Als Hersteller des migration-centers werden wir in der fme auch immer wieder von Kunden gebeten, unsere Einschätzung zu gescheiterten Migrationsprojekten des Kunden abzugeben. Ich habe daher schon etliche Analysen zu gescheiterten Migrationen erstellt. Auffällig sind hier besonders zwei Aspekte:

Die falsche Auswahl des Migrations-Tools und/oder der falsche Migrationsansatz
Wenn z. B. klar ist, dass die Daten des Altsystems auf kontrollierte Wertelisten im Zielsystem anzupassen sind, benötigt man ein Tool, mit dem man regelbasiert diese Werte anpassen kann. Die Verwendung von statischen Mappingtabellen oder customisierten Skripten kann hier nicht funktionieren, da in dem Altsystem die Anwender bis zur Produktivmigration weiterarbeiten. Daher können jederzeit neue Datensätze entstehen, die durch den gewählten Migrationsansatz nicht korrekt verarbeitet werden können. Dann muss nachimplementiert und nachgetestet werden. Ist dies erledigt, gibt es schon wieder neue Datensätze, die wieder nicht abgebildet werden können. Man bewegt sich also in einer Dauerschleife und kommt dem Ziel nicht näher.

Falsche Einschätzung der Datenqualität im Altsystem
Wie ich bereits zuvor beschrieben habe, ist dies ein besonders wichtiger Punkt. Wenn man zum Projektstart davon ausgeht, dass die Daten im Altsystem dem Objektmodell zu 100% entsprechen, kommt es oft zu der Situation, dass das kalkulierte Projektbudget nicht ausreicht und die Meilensteine des Projektes nicht wie geplant umgesetzt werden können. Man versucht dies dann oft mit Kompromissen bei der Datenqualität zu kompensieren und scheitert schließlich in der Qualifizierungsphase, weil die Abnahmekriterien nicht erfüllt werden können und damit die Freigabe für die Produktivmigration nicht erteilt wird.

 

Jens Dahl: Was kannst du Kunden raten bzw. welche Erkenntnisse nehmen Kunden häufig aus den Projekten mit?

Markus Schneider: Der Kunde unterschätzt fast immer seinen eigenen Leistungsbeitrag in Migrationsprojekten. Es sind dutzende, wenn nicht hunderte von Detailentscheidungen im Rahmen einer Datenmigration zu treffen. Wir als fme können für den Kunden die technische Umsetzung einer Migration durchführen und ihn mit unserer Erfahrung effiziente Entscheidungsgrundlagen liefern. Was wir nicht tun können ist, inhaltliche Entscheidungen zu treffen. Hier bleibt die Verantwortung beim Kunden. Wenn zum Beispiel aus einem Altsystem Daten auf eine kontrollierte Werteliste der EMA (European Medicines Agency) abzubilden sind, muss der Kunde die Entscheidung treffen, welche Werte wie zuzuordnen sind. Das diese Ersetzung auch sicher und fehlerfrei während der Content Migration umgesetzt wird, ist dann wieder Aufgabe der fme. Meine Erfahrung ist, je realistischer ein Kunde seinen eigenen Leistungsbeitrag einschätzt und die notwendigen organisatorischen Grundlagen schafft, desto besser und zügiger laufen die Projekte ab.

Jens Dahl: Nun stehen Projekte im validierten Umfeld in dem Ruf, erhöhte Aufwände durch zusätzliche Vorgehens- und Dokumentationsaufwände zu verursachen. Aber grundsätzlich ist es ja unabhängig von der Branche wünschenswert, hochwertige Prozesse, Methoden und Tools zur Sicherstellung der Qualität von IT-Systemen bzw. Migrationen zu haben. Kannst Du Dir vorstellen, genau diese Methoden auch in anderen Branchen anzuwenden, dabei jedoch die regulatorisch bedingten Mehraufwände zu reduzieren?

Markus Schneider: Hier muss man zwei Dinge klar trennen. Die Qualität einer Content Migration im validierten Umfeld wird nicht durch einen hohen Dokumentationsaufwand sichergestellt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Nur wenn die Qualität sehr hoch ist, kann der Dokumentationsaufwand im validierten Umfeld in einem vernünftigen Rahmen geleistet werden. Jeder, der schon Projekte im validierten Umfeld umgesetzt hat, weiß was es bedeutet, unerwartete Abweichungen zu dokumentieren und Abweichungsanalysen zu erstellen. Daher zielt die von uns entwickelte Vorgehensweise grundsätzlich auf eine sehr hohe Qualität und Migrationsquote ab. Dies bedeutet aber auch, dass durch das Weglassen von Dokumentationsaufwänden die Kosten für ein Migrationsprojekt nicht drastisch sinken.

Die Vorgehensweisen, die Implementierungs-Standards und die kontinuierliche, automatisierte Kontrolle der Datenqualität ermöglicht es uns, Migrationen planbar und kontrolliert umzusetzen. In der pharmazeutischen Industrie kommen dann noch Dokumentationsaufwände hinzu, die in anderen Industrien so nicht gefordert werden und daher stark reduziert werden können.

Die Annahme, dass Migrationen im validierten Umfeld immer hohe Aufwände bedeuten, kann man so pauschal nicht treffen. Die Frage ist immer: Was verursacht hohe Kosten in einem konkreten Migrationsprojekt und sind die zugrundeliegenden Kosten tatsächlich vergleichbar?

 

Ein einfaches Beispiel:

  • Anbieter A kalkuliert für die Migration von 2 Millionen Dokumenten 100.000 € Projektbudget und erreicht eine Migrationsquote von 98%.
  • Anbieter B kalkuliert für die gleich Migration 130.000 € und erreicht eine Migrationsquote von 100%.

Aus Projektsicht mag das Angebot von Anbieter A attraktiver erscheinen, aber aus Unternehmenssicht ist eindeutig das Angebot von Anbieter B das bessere. Die Wahl für Anbieter A kommt das Unternehmen sehr teuer zu stehen, da seine Mitarbeiter die fehlenden 2% manuell migrieren müssen. Bei 40.000 Dokumenten sind die Mitarbeiter einige Zeit beschäftig und können sich nicht auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren, dieser Punkt wird bei Kunden oft unterschätzt.

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Dieses Interview wurde geführt von Jens Dahl, Leiter des Kompetenz-Centers Migration Services bei der fme AG.

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